Donnerstag, 16. Februar 2012

Aktuelles EuGH-Urteil: Urheberrecht rechtfertigt keine Netzfilter und keine vorbeugende Überwachungspflicht für Soziale Netzwerke - Verwertungsgesellschaft scheitert in Luxemburg

Es wirkt wie eine weitere Abmahnung des höchsten Europäischen Gerichts an die Rechte-Industrie: Der EuGH hat per Pressemitteilung vom 16.02.2012 ein Urteil in der Rechtssache C-360/10 - Belgische Vereniging van Auteurs, Componisten en Uitgevers CVBA (SABAM) gegen Netlog NV - bekanntgegeben.

Danach kann der Betreiber eines Sozialen Netzwerks im Internet nicht dazu gezwungen werden, ein generelles, alle Nutzer des Netzwerks erfassendes Filtersystem einzurichten, um die unzulässige Nutzung musikalischer bzw. audiovisueller Werke zu verhindern. 


Klägerin ist die belgische Verwertungsgesellschaft SABAM, die Autoren, Komponisten und Herausgeber musikalischer Werke vertritt und sich auf die Urheberrechte ihrer Mitglieder berufen will. Sie ist u. a. auch für die Genehmigung der Verwendung ihrer geschützten Werke durch Dritte zuständig ist.

Beklagte ist die Netlog NV, die eine von über 10 Millionen Personen genutzte Plattform für ein Soziales Netzwerk im Internet betreibt. In dem sozialen Netzwerk bekommt jeder User einen persönlichen Bereich, ein weltweit zugängliches Profil, zur Verfügung gestellt. Dies kann der jeweilige Inhaber dann selbst in üblicher Weise mit Inhalten versehen. Es werden die für soziale Netzwerke klassischen Funktionen bereitgestellt: Man kann online kommunizierende Gemeinschaften (und Freundschaften) aufbauen und z. B. ein Tagebuch führen, eigene Hobbies, Vorlieben und Freunde dokumentieren, Fotos und Videos veröffentlichen oder seine Meinung kundtun.

Die SABAM rügte, das Soziale Netzwerk der Netlog NV ermögliche allen Usern, über das Profil musikalische bzw. audiovisuelle Werke aus dem SABAM-Repertoire zu nutzen, indem sie diese Werke andern Usern bzw. der Öffentlichkeit zugänglich machten, ohne dass die SABAM dem zugestimmt hätte und ohne dass die Netlog NV hierfür eine Vergütung zahlte.

Am 23.06.2009 verklagte die SABAM die Netlog NV beim Präsidenten der "Rechtbank van eerste aanleg te Brussel" in Belgien .

Die Klägerin beantragte u. a.,
der Netlog NV unter Androhung eines Zwangsgelds von 1000 Euro für jeden Tag des Verzugs aufzugeben, ab sofort jede unzulässige Zurverfügungstellung musikalischer oder audiovisueller Werke aus dem Repertoire von SABAM zu unterlassen. 
Die Netlog NV war der Ansicht, der Erlass der von SABAM beantragten Unterlassungsanordnung würde dazu führen, dass ihr eine allgemeine Überwachungspflicht auferlegt würde, was nach der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 08.06.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt - ABl. L 178, S. 1 - Art. 15.) verboten sei.

Die Rechtbank van eerste aanleg hat den EuGH angerufen mit der Fragestellung, "ob das Unionsrecht einer Anordnung eines nationalen Gerichts an einen Hosting-Anbieter in Gestalt des Betreibers eines Sozialen Netzwerks im Internet entgegensteht, ein System der Filterung der von den Nutzern seiner Dienste auf seinen Servern gespeicherten Informationen, das unterschiedslos auf alle diese Nutzer anwendbar ist, präventiv, allein auf eigene Kosten und zeitlich unbegrenzt einzurichten."
Der EuGH hat entschieden: Der Betreiber eines Sozialen Netzwerks im Internet kann nicht dazu gezwungen werden, ein generelles, alle Nutzer des Netzwerks erfassendes Filtersystem einzurichten, um die unzulässige Nutzung musikalischer bzw. audiovisueller Werke zu verhindern.
Der EuGH betrachtet die Netlog NV als Hosting-Anbieter und begründet seine Entscheidung damit, dass eine Filter-Pflicht gegen das Verbot verstößt, dem Anbieter eines derartigen Netzwerkes eine allgemeine Überwachungspflicht aufzuerlegen. Gleichzeitig würde so auch das Erfordernis missachtet, "ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Urheberrecht einerseits und der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen andererseits zu gewährleisten."

Ein Filtersystem würde nach Einschätzung des höchsten Europäischen Gerichts dazu führen, dass im Interesse der Inhaber von Urheberrechten sämtliche, zumindest aber der größte Teil der beim Hosting-Provider gespeicherten Informationen überwacht werden müsse. Dies führe zu einer deutlichen Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit der Netlog NV. Der Betreiber des Sozialen Netzwerks würde nämlich auf diese Weise gezwungen, allein auf seine Kosten ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes Informatiksystem einzurichten. Zudem könne ein derartiges Filtersystem auch Grundrechte der User beeinträchtigen wie die oben bereits erwähnten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen.

Das sind deutliche Worte aus Luxemburg, die in einigen aktuellen Debatten nicht überhört werden sollten.

Upgrade: Und hier der Link zum vollständigen Urteil der Dritten Kammer des EuGH vom 16.02.2012, Az. C‑360/10.