Mittwoch, 28. März 2012

Polizeiliches Fotografier-Verbot verstößt gegen Pressefreiheit - SEK-Einsatz als Ereignis der Zeitgeschichte i. S. d. § 23 KUG

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 28.03.2012 ein wegweisendes Urteil (Az. 6 C 12.11) für Journalisten und Fotografen gefällt und ein von der Polizei gegenüber einem Pressefotografen ausgesprochenes Verbot, Polizeibeamte eines Spezialeinsatzkommandos während eines Einsatzes zu fotografieren, für rechtswidrig erklärt.

Im 16.03.2007 waren SEK-Beamte im Rahmen eines Gefangenentransports damit befasst, einen der gewerbsmäßigen Geldwäsche beschuldigten mutmaßlichen Sicherheitschef einer Gruppe organisierter Kriminalität aus der Untersuchungshaft in einer Augenarztpraxis in der Fußgängerzone in Schwäbisch Hall vorzuführen. Der Einsatz wurde von zwei Journalisten, darunter einem Fotoreporter, beobachtet. Der Fotoreporter beabsichtigte, Bilder von den Dienstfahrzeugen und den eingesetzten Beamten anzufertigen. Der SEK-Einsatzleiter sprach daraufhin sofort vor Ort ein Fotografier-Verbot aus und drohte die Beschlagnahme der Fotokamera an, weshalb der Reporter davon absah, Bilder vom Einsatz anzufertigen.

Der Zeitungsverlag erhob nach unbefriedigender außergerichtlicher Korrespondenz mit dem Leiter des Bereitschaftspolizeipräsidiums Feststellungs-Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, das mit Urteil vom 18.12.2008 (Az. 1 K 5415/07) den Journalisten unter Hinweis auf Gefahr für Leib und Leben der Polizeibeamten kein Recht gab. Das beklagte Land rechtfertigte das auf §§ 1, 3 PolG gestützte Verbot unter anderem damit, dass die eingesetzten SEK-Beamten durch eine Zeitungsveröffentlichung von Bildmaterial hätten enttarnt werden können. Damit hätte ihre künftige Verwendbarkeit bei SEK-Einsetzen beeinträchtigt und sie selbst hätten persönlich durch Racheakte gefährdet werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim erklärte mit Urteil vom 19.08.2010 (Az. 1 S 2266/09) auf die Berufung des Zeitungsverlags das polizeiliche Fotografier-Verbot für rechtswidrig.

Die Gefahr einer unzulässigen Veröffentlichung der angefertigten Fotografien habe nicht bestanden. Mangels gegenteiliger konkreter Anhaltspunkte sei von einer Vermutung rechtstreuen Verhaltens der Journalisten und damit davon auszugehen, dass sie keine identifizierenden Porträt- oder  Nahaufnahmen der eingesetzten Polizisten und lediglich Bilder veröffentlichen werden, auf denen die SEK-Beamten insbesondere durch Verpixelung ihrer Gesichter unkenntlich gemacht seien.

Die hiergegen gerichtete Revision des Landes Baden-Württemberg wurde vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.

  • Es war nach höchstrichterlicher Bewertung nicht das mildeste Mittel und damit unverhältnismäßig, bereits das Anfertigen der Fotografien polizeilich zu verbieten. 
  • Der Einsatz von Polizeibeamten bzw. ein Einsatz von SEK-Kräften stellt ein zeitgeschichtliches Ereignis i. S. d. des Kunsturhebergesetzes (§ 23 KUG) dar, so dass Bilder auch ohne Einwilligung der abgelichteten Personen veröffentlicht werden durften. 
  • Ein entgegenstehendes berechtigtes Interesse der eingesetzten Polizisten wird erst dann verletzt, wenn die Fotos ohne den erforderlichen Schutz gegen eine Enttarnung der Beamten veröffentlicht werden. 
  • Zur Abwendung dieser Gefahr bedarf es aber regelmäßig keines Fotografier-Verbots, wenn zwischen der Anfertigung der Fotografien und ihrer Veröffentlichung hinreichend Zeit besteht, den Standpunkt der Polizei auf andere, die Pressefreiheit stärker wahrende Weise durchzusetzen.