Donnerstag, 20. August 2015

AG Bielefeld stoppt Filesharing-Abmahnung

... Mit 12 Argumenten auf einen Schlag

++++ Verliebt. Verlobt. Verklagt. Und nicht verurteilt. ++++

Filesharing-Klagen kommen beim Amtgericht Bielefeld kaum durch.

Auch ohne Trauschein muss man nach urheberrechtlichen Tauschbörsen-Abmahnungen keine Ermittlungen gegen den Partner oder die Partnerin aufnehmen. Und die Frage nach ausreichender Belehrung der den häuslichen Internetanschluss nutzenden minderjährigen Kinder stellt sich prozessual gar nicht, wenn es weitere potentielle Nutzer des Internetanschlusses gibt.

Dies und 10 weitere Gesichtspunkte hat das Bielefelder Amtsgericht nun in einem besonders klar, plausibel und umfassend begründeten Urteil vom 08.07.2015 (Az. 42 C 708/14) gebündelt. 

Mit dem für unsere Mandantin errungenem Urteil hat das Gericht zahlreichen angeblichen Argumenten aus derzeit wieder grassierenden Filesharing-Abmahnungen einen Riegel vorgeschoben. 
 
Das überzeugend begründete und nachvollziehbar strukturierte Urteil lässt sich auch nicht von dem gegenwärtigen unangebrachten Hype um die vier Wochen vor Urteilsverkündung verhandelten und entschiedenen drei BGH-Verfahren (noch nicht veröffentlichte Urteile des BGH vom 11.06.2015 zu den Az. I ZR 7/14, I ZR 19/14 und I ZR 75/14) in die Irre leiten. In der gegenwärtigen Abmahnungspraxis werden die absehbaren Entscheidungsfindungen der Karlsruher Richter in den vorerwähnten drei BGH-Verfahren nämlich zumeist fehlinterpretiert bzw. überinterpretiert.

Im Einklang mit derzeit seriös ableitbarer BGH-Rechtsprechung bleibt vor dem Hintergrund der einleuchtenden Urteilsfindung des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.07.2015 insbesondere Folgendes festzuhalten:
 
1.    „Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten.“

2.    „Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Internetanschluss zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung nicht hinreichend gesichert war oder … bewusst anderen Personen zur Benutzung überlassen wurde.“

3.    „Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen.“

4.    „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, auch andere Personen und ggf. welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.“

5.    Nur in „diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (BGH NJW 2014, 2360 „Bearshare“).“

6.    „Hinsichtlich einer etwaigen Aufsichtspflichtsverletzung kann eine Kausalität zum etwaigen Schaden nicht bejaht werden, wenn nicht feststeht, dass die Person, über die Aufsicht zu führen ist, eine Verletzungshandlung überhaupt begangen hat.“

7.    Der Beklagtenseite ist es „nicht zumutbar, den Täter im von Art. 6 GG geschützten Bereich zu ermitteln.“

8.    „Die Intention, den Familienfrieden zu wahren und niemanden zu verpflichten, den Partner auszuforschen und ihn einer illegalen Handlung zu überführen, muss auch für Verlobte gelten. Diese Intention ergibt sich auch aus § 383 Abs. 1 NR 1 ZPO, welcher auch dem Verlobten ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt.“

9.    „Der BGH hat zwar entschieden, dass der Inhaber eines ungesicherten WLAN Anschlusses als Störer auf Unterlassung haftet, wenn außenstehende Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzen, um urheberrechtlich geschützte Musiktitel in Internet-Tauschbörsen einzustellen (BGH NJW 2010, 2061 „Sommer unseres Lebens“). Diese Entscheidung ist aber nicht auf die … Fallgestaltung übertragbar, bei der der Anschlussinhaber seinen Internetanschluss einem Familienangehörigen zur Verfügung stellt (BGH NJW 2014, 2360; ebenso LG Bielefeld Beschluss vom 22. Juli 2014, 21 S 76/14).“

10.  „Die dreijährige Verjährungsfrist gilt auch für den Schadensersatzanspruch.“

11.  Ein Mahnbescheid, der verjährungshemmende Wirkung haben soll, muss den geltend gemachten Anspruch, und soweit es um mehrere Ansprüche geht, jeden einzelnen Anspruch ausreichend genau und individualisiert bezeichnen. Eine Bezugnahme auf ein vorausgegangenes Abmahnungsschreiben setzt eine sich entsprechende, nachvollziehbare einzelne und individualisierte Bezifferung der konkreten Forderungsbeträge verbunden mit dem vermeintlichen Anspruchsgrund voraus. Eine Individualisierung der Ansprüche erst in der Anspruchsbegründung bzw. der Klagebegründung nach bereits eingetretener Verjährung lässt die Verjährung nicht entfallen.“

12.  Auch ein auf die Erstattung außergerichtlicher anwaltlicher Abmahnungskosten gerichteter Anspruch verjährt in der dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB.