Dienstag, 18. Oktober 2016

Filesharing-Klage: Neue Hinweise des AG Bielefeld nach BGH-Urteil

Das Amtsgericht Bielefeld hilft aus der Einbahnstraße sekundärer Darlegungslast
Erhellende Hinweise zur Abwehr von Filesharing-Klagen hat jetzt das Amtsgericht Bielefeld mit Beschluss vom 13.10.2016 (Az. 42 C 151/16) erteilt. Dabei greift es das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2016 (Az. I ZR 154/15) auf: Der abgemahnte Internet-Anschlussinhaber hat nur sehr begrenzte Recherche-, Befragungs- und Auskunftspflichten.

Hier sind die richterlichen Hinweise im Einzelnen:


Das Gericht weist darauf hin, dass nunmehr höchstrichterlich geklärt bzw. klargestellt wurde, dass der Anschlussinhaber nicht verpflichtet ist, internetfähige Geräte der weiteren Nutzer seines Internetanschlusses auf das Vorhandensein von Filesharing-Software oder der streitgegenständlichen Datei zu untersuchen oder gar die tatsächlich für die behauptete Rechtsverletzung verantwortliche Person zu ermitteln und zu benennen. Auch ist aufgrund der Besonderheiten bei Nutzung einer Filesharing-Software kein konkreter Vortrag zu den An- und Abwesenheitszeiten des Anschlussinhabers und der Mitbenutzer im genauen Zeitpunkt der Rechtsverletzung erforderlich. Dies ergibt sich aus dem – noch nicht schriftlich begründeten – Urteil des BGH vom 6.10.2016, I ZR 154/15, mit welchem die Revision gegen das Urteil des LG Braunschweig vom 1.7.2015, 9 S 433/15 zurückgewiesen wurde.

Der Anschlussinhaber ist demnach lediglich verpflichtet, diejenigen Personen, die den Internetanschluss im Zeitpunkt der behaupteten Rechtsverletzung regelmäßig mitbenutzt haben, zu ermitteln und unter Angabe einer ladungsfähigen Anschrift namentlich zu benennen. Zu einem substantiierten Sachvortrag des Anschlussinhabers gehört es, die weiteren Nutzer nicht bloß namentlich zu benennen. Ein substantiierter Sachvortrag verlangt vielmehr, dass der Anschlussinhaber nähere Angaben zum generellen Nutzungsverhalten der Personen, denen die Nutzung des Internetanschlusses gestattet wurde, macht. Hierzu gehören Angaben darüber, wie die Personen Zugang zum Internetanschluss erhalten haben (LAN oder WLAN, welche Verschlüsselung, Art des Passwortes, welches internetfähige Endgerät), wie häufig diese Personen das Internet genutzt haben (täglich, gelegentlich, selten oder fast gar nicht) und wozu das Internet generell genutzt wurde (z.B. Informationsbeschaffung, Emails, Online-Shopping, Nutzung sozialer Netzwerke, Spielen, Filesharing, Streaming, Skypen). Dies stellt – soweit es dem Anschlussinhaber bei Nutzung durch Familienangehörige nicht ohnehin bekannt ist – auch vor dem Hintergrund des Art. 6 GG keine überspannten Anforderungen an die Nachforschungspflicht des Anschlussinhabers dar.

Sofern ein derart substantiierter Sachvortrag des Anschlussinhabers vorliegt, ist es unter Berücksichtigung der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung im Zivilprozess Aufgabe des Rechteinhabers, zu beweisen, dass die weiteren benannten Nutzer keinen Zugriff auf den Internetanschluss des Anschlussinhabers hatten und dass der Anschlussinhaber für die behauptete Rechtsverletzung verantwortlich ist. Ob dem Rechteinhaber dieser Nachweis gelingt, ist dann eine Frage der tatrichterlichen Beweiswürdigung im Einzelfall. Die pauschal vertretene Ansicht, der Anschlussinhaber hafte immer dann, wenn kein weiterer Nutzer eine Tatbegehung eingeräumt habe, vermag angesichts der vorstehenden Ausführungen in dieser Allgemeinheit nicht zu überzeugen.


Die schriftlichen Entscheidungsgründe des BGH-Urteils vom 06.10.2016 liegen noch nicht vor. Dennoch konnte das Amtsgericht Bielefeld aus den Inhalten des vom BGH im Revisionsverfahren bestätigten Urteils des Landgerichts Braunschweig vom 01.07.2015 (Az. 9 S 433/14, 9 S 433/14 (59)) und aus den bei der öffentlichen Urteilsverkündung in Karlsruhe geäußerten Anmerkungen des I. Zivilsenats mit Recht die einleuchtenden Maßstäbe möglicher angemessener Rechtsverteidigung gegen Filesharing-Klagen aufstellen. 



Freitag, 7. Oktober 2016

Neues BGH-Filesharing-Urteil hilft gegen Abmahnwut

Hilfe aus Karlsruhe bei Filesharing-Verdacht per Abmahnung
Der BGH hat am 06.10.2016 (Az. I ZR 154/15) den Opfern übermotivierter Filesharing-Abmahnungen eine große Last abgenommen und ein Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 01.07.2015 (Az. 9 S 433/14, 9 S 433/14 (59)) bestätigt. Danach wird die sogenannte „sekundäre Darlegungslast“ des Internet-Anschlussinhabers erheblich begrenzt.

Die von der Münchener Rechtsanwälten Waldorf –Frommer vertretene Filmproduzentin Constantin Film verlangte von dem seitens der Kanzlei Solmecke vertretenen Beklagten Schadensersatz für angebliches illegales Film-Filesharing sowie die Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten.

Die Klägerin hatte ein Auskunfts- bzw. Gestattungsverfahren gem. § 101 Abs. 9 UrhG angestrengt zur Ermittlung des Anschlussinhabers anhand einer mit Zeitstempel protokollierten dynamischen IP-Adresse. Nach der Abmahnung gab der verheiratete Kläger lediglich eine Unterlassungserklärung ab.

Die Klägerin berief sich auf eine „tatsächliche Vermutung“, wonach ein Anschlussinhaber grundsätzlich als Täter für über seinen Anschluss begangene Rechtsverletzungen verantwortlich ist.

Der Beklagte hat eine eigene Urheberrechtsverletzung bestritten und - ohne weitergehende Nachforschungen hinsichtlich eines Täters - vorgetragen, auf seinem Computer sei weder eine Filesharing-Software installiert, noch der streitgegenständliche 3D-Film vorhanden. Einen derartigen Film könne er auch mit seinem Equipment überhaupt nicht abspielen. Er sei im fraglichen Zeitraum von Montag bis Freitag, häufig auch am Wochenende berufsbedingt unterwegs und könne auch deshalb die Verstöße, die sich sonntags bis dienstags ereignet haben sollen, nicht selbst begangen haben. An den entsprechenden Tagen sei er ohne Internetzugang unterwegs gewesen. Seine Ehefrau habe zu jener Zeit ständig - über einen eigenen PC - Zugang zum Internet gehabt. Dennoch ginge er nicht davon aus, dass diese etwa die vermeintlichen Rechtsverletzung begangen habe. Der benutzte Router „Speedport W504V“ sei zwar mittels WPA2 gesichert gewesen, habe aber laut Medienberichten und Produktwarnungen eine erhebliche Sicherheitslücke aufgewiesen.

Der Beklagte hat den PC seiner Ehefrau nicht untersucht.

Mit am 27.08.2014 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht Braunschweig unter Hinweis auf die Sicherheitslücke die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat das Landgericht die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen. Sie gab zu, den Internetanschluss genutzt zu haben, in der streitgegenständlichen Zeit für Online-Einkäufe, Online-Spiele und auf Facebook. Die Zeugin verneinte aber eigene Filesharing-Verstöße.

Das Landgericht stufte das Bestreiten der Ehefrau als mögliche Schutzbehauptung ein, nach der eine Täterschaft der Ehefrau eben dennoch möglich sei, ohne dass dies allerdings eindeutig bewiesen sei. Dies ginge zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin.

Dieses realistische und lebensnahe Urteil hat der BGH nun im Revisionsverfahren bestätigt.

Die abmahnende und klagende Rechteinhaberin muss die Rechtsverletzung und eine angebliche Täterschaft beweisen. 

Bei substantiiertem Sachvortrag des Anschlussinhabers zu Mitbenutzungsmöglichkeiten namentlich benannter Dritter geht eine Filesharing-Klage deshalb bereits ins Leere, auch ohne dass der Abgemahnte den Täter selbst - quasi polizeilich - exakter ermitteln muss. 

Ein Beklagter muss auch nicht etwa noch zu genaueren Anwesenheitszeiten seiner Familienangehörigen nähere Angaben machen, zumal eine körperliche Präsenz am Rechner zur Auslösung von Filesharing-Vorgängen ohnehin nicht erforderlich ist. 

Auch weitere Nachforschungen etwa auf dem Rechner der Ehefrau oder durch deren Vernehmung muss ein Anschlussinhaber nicht anstellen.


Damit hat der BGH eine lange erwartete und erhoffte Klarstellung getroffen, die dem Geschäftsmodell der Abmahnindustrie deutliche Grenzen aufzeigt.